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Aus dem Deutschunterricht:
Die Riener-Ballade

von der Klasse 9c, Schuljahr 2001/2002

In der Ausgabe 47/2000 der ZEIT findet sich ein Artikel über den Münchener Wissenschaftler Robert Riener, der mit der Umsetzung der komplexen Mechanik des menschlichen Kniegelenks in die virtuelle Realität des Computers beschäftigt. Diese Simulation geht so weit, dass der "elektronische Patient" sogar Schmerzempfindungen äußert.
Die Klasse 9c nahm diesen Artikel zum Anlass eine Ballade im Stile Hans Magnus Enzensbergers zu verfassen, welche auch beim Protagonisten und seinem Institut selbst auf große Resonanz stieß:


Robert Riener

Viele surrende Bildschirme, anatomische Modelle,
ein Cyber-Handschuh, eine futuristische Datenbrille.
Robert Riener, der Frankenstein des 21. Jahrhunderts,
der Schöpfer des schmerzempfindlichen Roboters.

Ein lauter Schmerzensschrei
hallt durch das Labor des Instituts für
Steuerungs- und Regelungstechnik,
Technische Universität München.

Er hält ein Knie in der Hand:
Künstliche Knorpel, Bänder, Sehnen.
Eine besondere Herausforderung
für jeden Orthopäden.


Mittels komplizierter
Messungen und mathematischer Modelle
hat er die komplexe Mechanik des Knies
in die virtuelle Realität des Computers
übersetzt.

Eine sehr effektive Erweiterung der Realität

wird dieses Projekt vorsichtig genannt,
es ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Realität selbst.

Doch je mehr man sie erweitert,
desto stärker gerät die Realität
in den Hintergrund.

Das Ziel einer wirklichkeitsnahen Simulation
optischer und biomechanischer Eigenschaften von Körperteilen
liegt in weiter Ferne.
Die Geräte werden nur akzeptiert, wenn sie so real wie möglich sind.

Die virtuelle Realität hat förmlich
einen Run auf die stählernen Kollegen ausgelöst.

Knochen, Muskeln, Sehnen
lassen sich auf Knopfdruck
erkenn- und manipulierbar machen.

Eine weitere Leidenschaft Rieners
ist die Biomechanik,
natürlich, künstliche Bewegungsregelung.
Eine Neuroprothese zum Aufstehen war sein jüngster Erfolg.
Zahlreiche Sensoren, drei kleine Motoren,
für Laien jetzt schon faszinierend
durch das haptische Feedback
mit seinen halbwegs realistischen Krafteindrücken,

das virtuelle Bein
mit seinen Cyber-Knie.

Die Medizin-Robotik
mit ihren stählernen Kollegen
wäre für theorielastige
Tests wie geschaffen.

Riener forscht fieberhaft, fanatisch,
hat Erfolge in der Neurophysiologie
und der Bewegungsanalyse zu verzeichnen.
Probleme bei visuellen Effekten wie etwa beim Verschweißen
eines virtuellen Blutgefäßes.

Paradoxerweise kann die Entwicklung von
Techniken der virtuellen Realität
dazu führen, dass wir an anderer
Stelle weniger Technik brauchen.


Seine Studien über inkompressible
Fluide, Steuerungs- und Regelungstechnik,
biomechanische Bewegungssimulation
trugen zu dieser Erfindung bei.

Für die zahlreichen Studenten, die
wir ausbilden müssen, finden
wir oft nur wenige Patienten mit
den einschlägigen Krankheitsbildern,
die zum entsprechenden Zeitpunkt auch
verfügbar sind.


Ein langer Weg mühsamer Tüftelarbeit
brachte ihn auf seinen heutigen Stand.

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Wenn die Maschine schreit

Die virtuelle Realität verändert die Medizinausbildung. Bis zur Serienreife ist es aber noch ein weiter Weg

Von Georg Etscheit

   Der Patient hat Schmerzen. Irgendetwas am Kniegelenk. Der Orthopäde erfasst den Unterschenkel, zieht ihn vorsichtig zu sich heran. "Aua", entfährt es dem Kranken.

   Ein zweiter Test, diesmal etwas kräftiger: "Auaaaahhhh." Das wäre wohl etwas heftig gewesen, hätte da wirklich ein leidender Mensch aus Fleisch und Blut gesessen. Doch der Schmerzensschrei entfuhr einem Bildschirm-Dummy, und der scheinbar so rücksichtslose Orthopäde ist in Wahrheit ein aluminiumblitzender Roboterarm.

   Das Labor des Instituts für Steuerungs- und Regelungstechnik der Technischen Universität München sieht ein wenig aus wie die Werkstätte des Dr. Frankenstein im 21. Jahrhundert. Viele surrende Bildschirme, anatomische Modelle, ein Cyber-Handschuh, eine höchst futuristische Datenbrille, über einen Kunstkopf gestülpt. Alles verkabelt mit einer verborgenen Datenquelle. Robert Riener, Schöpfer des schmerzempfindlichen Cyber-Homunkulus, hält ein konventionelles Kniemodell in seinen Händen, mit künstlichen Knorpeln, Bändern, Sehnen. An ihm erklärt der 32-jährige Wissenschaftler die Funktionsweise des Gelenks. Mittels komplizierter Messungen und mathematischer Modelle hat er die komplexe Mechanik des Knies in die virtuelle Realität des Computers übersetzt.

   Rieners Ziel ist eine möglichst wirklichkeitsnahe Simulation kranker wie gesunder Kniegelenke, mit deren Hilfe Orthopäden klinische Untersuchungsmethoden trainieren oder Operationen planen können. "Eine sehr effektive Erweiterung der Realität" nennt Riener sein Projekt vorsichtig, freilich noch lange nicht zu verwechseln "mit der Realität selbst". Forschung auf dem Gebiet der virtuellen Realität (VR) in der Medizin ist derzeit en vogue, ähnlich wie die Medizin-Robotik, deren jüngste Erfolge gerade in deutschen Kliniken einen regelrechten Run von Ärzten und Patienten auf die stählernen Kollegen ausgelöst haben. Zahlreiche Wissenschaftler im In- und Ausland widmen sich der Entwicklung von VR-Techniken in der Ausbildung und beim Training von Medizinern. Im Forschungszentrum Karlsruhe etwa beschäftigt sich ein Team um den Wissenschafler Uwe Kühnapfel mit der Simulation minimalinvasiver Eingriffe bei der schonenden Inspektion und Chirurgie der Bauchhöhle. Ähnliche Anstrengungen werden auch in der Gynäkologie, der Augenchirurgie und der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde unternommen. Noch ist keines dieser Systeme kommerziell erhältlich.

   Die Visionen der Forscher unterscheiden sich kaum. Irgendwann einmal, so die Hoffnung, soll das Training am Medizin-Simulator für Medizinstudenten und Ärzte ebenso selbstverständlich sein wie die Flugsimulation für angehende und aktive Piloten. Übungen und Versuche am menschlichen Leichnam und an Tieren sowie belastende Tests an kranken Menschen könnten dadurch überflüssig werden.

   Dass sich Riener in München ausgerechnet dem Kniegelenk widmet, hat seinen Grund: Die Anatomie und Pathologie dieses hochkomplizierten Körperteils gilt als eine besondere Herausforderung für jeden Orthopäden. Und: Die Zahl von Knieverletzungen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, was der Überalterung der Gesellschaft und einem risikoreicheren Freizeit- und Sportverhalten geschuldet ist.

   Zugleich ist die klinische Ausbildung von Orthopäden immer noch langwierig und teuer. "Um Knieverletzungen festzustellen, gibt es mehr als 50 klinische Funktionstests, die der Arzt beherrschen muss", sagt Riener. Man könnte auch sagen "müsste" - denn die Orthopädie-Ausbildung gilt als theorielastig und deswegen als nicht selten mangelhaft. "Für die zahlreichen Studenten, die wir ausbilden müssen, finden wir oft nur wenige Patienten mit den einschlägigen Krankheitsbildern, die zum entsprechenden Zeitpunkt auch verfügbar sind", sagt Rainer Burghart, Oberarzt an der Orthopädischen Klinik des Klinikums rechts der Isar in München, der Riener fachlich berät.

   Eine realitätsnahe Simulation könne die Ausbildung von Medizinern standardisieren und verbessern, meint Burghart. Zudem, so hofft er, könne auch die zunehmende Vernachlässigung bewährter manueller Untersuchungsmethoden mit dem Einsatz virtueller Trainingsgeräte gestoppt werden. Viele Orthopäden flüchten sich aus Unsicherheit in teure und oft wenig effektive bildgebende Diagnoseverfahren wie Computer- oder Kernspintomografie oder gar in kostspielige und riskante Methoden wie die Arthroskopie (Gelenkspiegelung). Dem wollen Riener und Burghart durch die Ausbildung am Simulator wehren. Burghart hofft zugleich auf kostendämpfende Effekte. "Paradoxerweise kann die Entwicklung von Techniken der virtuellen Realität dazu führen, dass wir an anderer Stelle weniger Technik brauchen."

   Das Ziel einer wirklichkeitsnahen Simulation von Körperteilen, ihrer optischen und biomechanischen Eigenschaften liegt allerdings noch in weiter Ferne. Uwe Kühnapfel kann zwar mit spektakulären visuellen Effekten aufwarten, etwa wenn beim Verschweißen eines virtuellen Blutgefäßes durch den dabei entstehenden Dampf das ebenfalls virtuelle Kameraauge im Bauchraum beschlägt. Andere Effekte wirken indes noch recht künstlich. "Die Geräte werden nur akzeptiert, wenn sie so real wie möglich sind", glaubt der Karlsruher Forscher. Der begrenzende Faktor sei die verfügbare Rechnerkapazität in Beziehung zum Preis, den das Gerät vielleicht einmal auf dem Markt kosten soll. "Mit der Rechnerkapazität steht und fällt alles." Ist diese nicht groß genug, kann es vorkommen, dass die erwünschte Echtzeit-Simulation ins Stottern kommt wie ein Computerspiel auf einem schlappen Heim-PC. Auch vor Riener und seinem Team von der TU München liegt noch ein langer Weg mühsamer Tüftelarbeit. Ihr Cyber-Knie ist noch unvollkommen. Für Laien ist es allerdings schon jetzt faszinierend, im Labor mit dem von drei kleinen Motoren angetriebenen und mit zahlreichen Sensoren ausgerüsteten Traktionsarm einen Punkt auf dem Bildschirm anzusteuern, mit dem man das virtuelle Bein "berühren" kann und auch ein "haptisches Feedback" erhält, also halbwegs realistische Krafteindrücke spürt. Auf Knopfdruck lässt sich das Knie auch gläsern machen, dann sind Knochen, Muskeln und Sehnen erkenn- und manipulierbar. In der Kniekehle, wo das Gewebe weicher ist und nachgibt, fühlt man am Griff des Arms sogar den Pulsschlag. Doch gerade diese haptischen Eigenschaften des kranken Knies, also das, was ein guter Arzt durch die Haut ertasten kann, seien noch kaum erforscht, sagt Riener. Wie fühlt sich ein bestimmter pathologischer Bereich des Gelenks an, wie kann man solche Sinneseindrücke ins virtuelle Modell übertragen? Das sind diffizile Fragen, die noch jahrelanger Forschung bedürfen. Heftiges Ungemach kann man bei dem virtuellen Kniepatienten aber schon nach kurzer Übung auf dem Bildschirm auslösen. Den Schmerzensschrei des Malträtierten hat Riener in einer kurzen und einer langen Version aufgezeichnet. Bei Präsentationen vor Fachpublikum gibt es nur das kurze "Aua" zu hören. "Der lange Schrei", meint Riener, "wirkt vielleicht ein bisschen unseriös."

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Hans Magnus Enzensberger,
Jacques de Vaucanson (1709-1782)

Vaucansons Ente
Das Publikum war exquisit. Ein Knistern
ging durch die seidenen Toiletten: Phantastisch!
Ein Chef-d'œuvre: die mechanische Ente.
Auch Diderot war begeistert. Der Automat
watschelte, planschte im Wasser:
Welche Delikatesse in allen Teilen!

Die Flügel glitzerten in der Sonne,
zwei mal vierhundert bewegliche Teile.
Ein metallisches Flirren, ein Schnattern
aus Stahl und Lack. Der Künstler errötet.
Bescheiden, reizend, ein wenig linkisch.

Aber je größer und komplexer eine Maschine,
desto mehr Verbindungen finden statt
zwischen ihren einzelnen Teilen;
je weniger man diese Verbindungen kennt,
desto mehrdeutiger wird unser Urteil sein.


Bravo! Der Kardinal de Fleury umarmt nach der Vernissage
den Erfinder, und flugs beruft er ihn an die Spitze
der Seidenmanufaktur zu Lyon.
Welcher Fall tritt also ein, wenn die Maschine
in jeder Hinsicht unendlich ist?


Sonderbar, wie sich der neue Inspekteur
einschließt. Fragt niemand, zeichnet fieberhaft.
Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer:
Maschinen zum Bau von Maschinen.
Der automatische Webstuhl, angetrieben
von einem einzigen Wasserrad (oberschlächtig)
über endlose Ketten.
Vollkommenheit, Ökonomie.

Der geglättete Eisendraht, geschnitten
in immergleiche Stücke, und immer gleich
an jedem Ende gebogen zu gleichen Gliedern;
ein Haken, immer gleich, nimmt den Draht auf,
der das nächste Glied zu bilden bestimmt ist.


Von der Haspelei bis zum Walkwerk
ein integrierter industrieller Komplex,
gut ausgeleuchtet, voll klimatisiert:
ein Entwurf von unerhörter Eleganz.
(Zwischen Rendite und Ingenium
finden gewisse Verbindungen statt.)

Von nun an bringen die Arbeiter von Lyon
jede wache Stunde ihres Lebens
in einem riesigen Spielzeug zu,
in dem sie gefangen sind: dergestalt,
dass ein jeder fortwährend den immer gleichen
einfachen Handgriff ausführt,
und zwar immer besser und rascher.


Welcher Fall tritt also ein,
wenn die Weber sich wehren?
Zerbrecht das Haspelwerk!
Steinigt den Blutsauger!

Dem aufsässigen Pöbel zur Strafe
konstruierte er einen Esel,
welcher ein geblümtes Zeuch webte.

Und so fort. (Wer aber den Menschen
das Licht der Aufklärung bringt,
der muß gefaßt sein auf Nachstellungen.)


Dann Jacquard. Jacquard war der Nächste
mit seinen Lochkarten. Fortschritte,
Barrikaden. Die Blutbäder
waren unvermeidlich.


Auch die Ente wurde verbessert:
Schließlich pickte sie Körner auf,
verdaute sie sorgfältig, und der Gestank,
der sich jetzt im Räume verbreitet,
ist unerträglich. Wir möchten dem Künstler
die Freude ausdrücken, die seine zauberhafte
Erfindung uns allen bereitet hat.
 
Jacques de Vaucanson
frz. Mechaniker, Grenoble 24.2.1709, Paris 21.11.1782, ab 1741 Generalinspekteur der frz. Seidenmanufakturen; erfand zahlreiche Werkzeuge, Instrumente und Maschinen, die einen Grundstock des Conservatoire des arts et métiers in Paris bilden. Die von ihm erfundene Webmaschine (um 1745) wurde von Jacquard zur Jacquardmaschine weiterentwickelt.

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