A C H T U N G !
Dies ist eine Seite der alten Internetpräsenz des Gymnasiums Wildeshausen mit Stand vom Schuljahr 2011/2012.
Sie erfüllt ausschließlich einen dokumentatorischen Zweck.
Die aktuelle Homepage findet man unter www.gymnasium-wildeshausen.de
Email an: Edda Koopmann
Ich hoffe, dass nicht allzu viele unter Ihnen beim Lesen des Vortragstitels gedacht haben, dass Sie ein Vortrag über Naturwissenschaften und dazu noch am relativ frühen Morgen eigentlich eher weniger begeistern könnte.
Statt dessen würde ich mich freuen, wenn ich Ihnen ein wenig von der Faszination, die Naturwissenschaften, besonders die Biologie, auf mich ausgeübt haben und immer noch ausüben, vermitteln kann.
Daher möchte ich Sie dazu einladen, einen Blick auf das Leben eines Menschen in der Hinsicht zu werfen, mit wieviel und welcher Art von naturwissenschaftlichem Denken und Naturwissenschaften er oder sie konfrontiert wird und wie man mit ihr im täglichen Leben umgeht. Dabei möchte ich zunächst die verschiedenen Bereiche der Naturwissenschaften ganz nach naturwissenschaftlicher Manier vorstellen und definieren. Ich werfe dann einen Blick auf die Rolle der Naturwissenschaften in der Schule unter dem Aspekt der neuen Oberstufenreform und eines alternativen Modells für den Mathematikunterricht, um mich danach der Bedeutung der Naturwissenschaften im Erwachsenenleben zuzuwenden. Zum Schluss möchte ich noch die aktuelle Frage nach der Qualifikation von Frauen für Naturwissenschaften aufwerfen.
Zunächst einmal möchte ich für Sie alle die verschiedenen Naturwissenschaften noch einmal klar definieren. Naturwissenschaftliches Denken besteht darin, Modelle und darauf aufbauend Experimente zu entwickeln, um diese Modelle zu bestätigen oder zu widerlegen. Naturwissenschaftliches Denken bedarf also einer gewissen Fähigkeit zu logisch-analytischem Denken.
Die Modelle erklären bestimmte Phänomene in der Welt, die uns umgibt. Die Physik beschäftigt sich mit den Erscheinungen der unbelebten Natur, die Chemie mit der Charakterisierung, Umwandlung und Zusammensetzung der Stoffe, aus denen diese Welt besteht. Die Biologie schließlich befasst mit den Erscheinungen der belebten Natur. Diese drei Bereiche sind natürlich nicht streng voneinander getrennt, sondern überlappen sich häufig, wie z. B. im Bereich der Biophysik, die sich mit der Erforschung der physikalischen Vorgänge im lebenden Wesen beschäftigt.
Natürlich fordert auch die Beschäftigung der Mathematik eine ähnliche Leistung im analytisch-logischen Denken wie in den anderen Naturwissenschaften, weshalb ich diese Fachrichtung hier mit einbeziehen möchte. Außerdem benötigt wirklich jedermann, der sich mit Naturwissenschaften beschäftigt, ein gewisses Maß an Verständnis für Mathematik, da sie die Grundlage für quantitative Betrachtungen in den Naturwissenschaften bildet.
In einem Land, in dem auf Chancengleichheit und Gleichberechtigung zumindest formal so großen Wert gelegt wird, erscheint es fast kühn zu behaupten, dass es manchen Menschen leichter fällt als anderen, naturwissenschaftlich zu denken oder zu arbeiten. Es sei hier dahin gestellt, ob diese Unterschiede genetisch oder durch die Erziehung bedingt sind. Diese naturwissenschaftliche Denkweise ist also eine Begabung, die manche Menschen mehr, andere weniger haben. Dieses wird auch in der Tatsache deutlich, dass die Mathematik sowohl das beliebteste als auch das meistgehassteste Fach an der Schule ist. Jeder wird sich hier sicherlich an seine eigene Schulzeit erinnern, in der besonders der Mathematik-, der Physik- und der Chemieunterricht die grausamsten oder auch die spannendsten Stunden des Tages waren.
Also ist schon von vornherein nicht jeder oder jede geeignet, sich intensiv mit Naturwissenschaften auseinanderzusetzen. Das mindert natürlich besonders den Spaß an der Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Phänomen in der Schule, in der Naturwissenschaften zumindest bis zur Oberstufe verpflichtend sind.
Damit wären wir schon bei meiner ersten Station auf meinem kleinen Ausflug durch die Welt der Naturwissenschaften, die hier in diesem Kontext sicherlich von besonderem Interesse ist: Die Naturwissenschaften in der Schule.
2. Der oder die Schülerin und die Naturwissenschaften
Dieser Themenbereich ist sicher zu komplex, um in einem eher allgemeinen Vortag erschöpfend darauf eingehen zu können. Deshalb möchte ich hier nur zwei Punkte behandeln, die im Augenblick sicherlich von aktuellen Interesse sind: die neue Oberstufenreform und ein alternatives Modell für den Matheunterricht in der Oberstufe:
2.1
Zunächst ein paar Bemerkungen zur neuen Oberstufenreform: Seit Jahren wird immer mehr Kritik an der Qualität des Abiturs von Seiten der Universitäten und der Ausbilder laut. Der Standard der Allgemeinbildung sänke, und wichtige Grundlagen im schriftlichen Ausdruck und Rechtschreibung fehlen den Studenten. Außerdem ließen die im Studium wichtigen Fähigkeiten, wie zum Beispiel selbständiges Arbeiten, zu wünschen übrig.
Aus diesem Grund beschloss die Kultusministerkonferenz im letzten Jahr eine neue Oberstufenreform, die die Anforderungen erhöhen und damit die Auslese stärken soll. Diese Reform liefert aber wenig neue Ansatzpunkte und zeugt eher von einer gewissen Hilflosigkeit. Danach werden Deutsch, eine Fremdsprache und Mathematik bis zum Abitur verpflichtend, in diesen Fächern und weiteren zwei oder drei werden die Schüler geprüft. Die Naturwissenschaften geraten dabei in die zweite Reihe, da sie nicht mehr zwingend in der Oberstufe sind. Man kann also praktisch sein Abitur machen, ohne sich in irgendeiner Form nach der 10. Klasse mit Physik, Bio oder Chemie zu beschäftigen. Die Gesellschaften Deutscher Chemiker, Physiker und Biologen erheben angesichts der Zurückdrängung der Naturwissenschaften in die zweite Reihe ihre Stimme und beschwören eine dunkle Zukunft herauf, in der es schon den Abiturienten an naturwissenschaftlichen Grundkenntnissen mangelt und damit auch ein akuter Mangel an Naturwissenschaftlern auftritt, die in der Grundlagen aber auch in der angewandten Forschung in Deutschland unentbehrlich sind. In den letzten Jahren sind in der deutschen Industrie allein 40.000 Stellen für Wissenschaftler abgebaut worden, ein Trend, der sicherlich komplexe Ursachen hat, aber auch im fehlenden oder schlechter ausgebildeten, naturwissenschaftlichem Nachwuchs seine Ursachen haben dürfte. Die Gesellschaften fordern statt dessen, dass alle drei Naturwissenschaften verpflichtend bis zum Abitur sind, eine Vorstellung, die manchen Schüler hier erblassen lassen wird und manchen Erwachsenen Gott danken lässt, dass sein Abitur bereits Jahrzehnte zurückliegt. Mit dieser Regelung schießt man sicher über das Ziel hinaus, da Schülern, die Schwierigkeiten in naturwissenschaftlichen Fächern haben oder sich in eine völlig andere Richtung orientieren, die Naturwissenschaften sicher für ihr Leben verleidet werden.
Die neue Oberstufenreform soll ebenfalls den Standard der Allgemeinbildung heben und eine verbesserte Fähigkeit zum Universitätsstudium versprechen.
Was aber ist Allgemeinbildung eigentlich? Bei guter Allgemeinbildung in einem Fach sollten neben der Anwendungsbezogenheit auch die grundlegenden Ideen des Faches sichtbar werden.
Eine breitere Allgemeinbildung, was letztendlich auch eine größere Sicherheit in der deutschen Sprache und den mathematischen Grundkenntnissen bedeutet, wird sicherlich nicht durch diese Reform der Oberstufe erreicht, denn die Grundlagen gerade in diesen Fächern werden bereits wesentlich früher in der Schule vermittelt.
Statt des Zwanges, ein bestimmtes Fach zu belegen, sollte auch in der Oberstufe das Interesse an den einzelnen Fächern, und somit auch gerade an den Naturwissenschaften als eine sehr lebendigen und ständig im Wandel befindlichen Wissenschaft wachgehalten werden. Ich habe bereits schon früher erwähnt, dass es eine Begabung zum naturwissenschaftlichem Denken gibt. Schüler, die gezwungen werden, Naturwissenschaften zu belegen, werden damit sicherlich nur unnötig gequält, und der Zugang zu Naturwissenschaften wird für das weitere Leben verstellt. Ein oft diskutiertes Mittel für eine interessante Unterrichtsgestaltung sind dabei praktische Versuche, die sicherlich im Augenblick ein zweischneidiges Schwert sind, zumal wenn dem Lehrer ein Betrag von ca. 2,50 DM pro Unterrichtsstunde für Materialien zur Verfügung steht. Dieser Betrag reicht aus, um acht Schüler mit einem Reagenzglas zu versorgen. Der Inhalt sollte sich dann dazu gedacht werden, was den Lehrer angesichts der Forderung nach mehr Kreativität nicht schwerfallen sollte.
2.2
Was also eher in eine neuer Reform verwirklicht werden könnte, sind neue Lehrmethoden, wie zum Beispiel ein explorierender Unterrichtsstil, in dem die Schüler mit ihren Fragen die Richtung des Unterrichtsstils bestimmen bzw. neue Lehrinhalte, wie zum Beispiel die stärkere Miteinbeziehung von Alltagsphänomenen in den Chemieunterricht, die für den Schüler anschaulicher und auch interessanter sein können.
Als Beispiel möchte ich ein Modell für Mathematikunterricht in der Oberstufe vorstellen, das der Bielefelder Mathematiker Hans-Werner Heymann vorschlägt.
Für alle Schüler sieht Herr Heymann einen anwendungsbezogenen Unterricht vor, in dem alltagsbezogene, mathematische Aktivitäten vermittelt werden wie Schätzen, Überschlagen, Interpretieren und Darstellen sowie Handhabung mathematischer Hilfsmittel. Diese werden bei steigendem Niveau intensiver thematisiert, reflektiert und geübt. Heymann stellt nämlich fest, dass mathematische Kompetenzen, die über das hinausgehen, was in der Zeit nach der siebten Klasse vermittelt wird, im späteren Leben von den meisten Menschen nicht mehr benötigt werden.
Natürlich sollten dabei die grundlegenden Ideen des Faches ebenfalls vermittelt werden, was also nicht hieße, eine bestimmte Anzahl von Techniken zu lernen, sondern das eigentlich Mathematische zu erkennen, wie zum Beispiel die Idee des funktionalen Zusammenhanges, des Algorithmus oder des mathematischen Modellierens.
Für Interessierte sieht das Modell eine Einführung in die höhere Mathematik vor.
Dabei sollte klar sein und dem Schüler auch immer wieder bewusst gemacht werden, dass im späteren Studium auch in nicht naturwissenschaftlichen Studiengängen bestimmte mathematische Kenntnisse notwendig sind, die über das im Grundkurs gelehrte hinausgehen. Zu nennen sind hier Volks- und Betriebswirtschaftslehre, Psychologie und Medizin. Die Befähigung zur Aufnahme dieser Studiengänge könnte durch eine entsprechende Prüfung im Abitur in Mathematik dann nachgewiesen werden.
Man kann also auch in einem Fach, in dem sich die Inhalte relativ wenig über die Jahre geändert habe, durchaus neue Impulse setzen. Was für Möglickeiten es in Fächer gibt, in denen die Entwicklungen und neuen Erkenntnisse so rasant fortschreiten, wie es zur Zeit im Bereich der Biowissenschaften der Fall ist, möchte ich jetzt ihrer Phantasie überlassen, womit wir nun die Schule verlassen und jetzt damit die Schwelle zum Erwachsenenalter erreichen, das Reifezeugnis ist ausgehändigt worden, wir wenden uns dem Leben im Beruf und an der Universität zu:
Einige schwören sich beim Erhalt des Abschlusszeugnis, nicht einmal für die Addition 1 + 1 den Kopf statt des Taschenrechners zu benutzen oder mehr physikalische Kenntnisse anzuwenden als man braucht, um die Batterien in diesem auszutauschen, falls man nicht sowieso den umweltfreundlichen Solarrechner vorzieht.
Welche Gründe gibt es dafür, sich trotzdem noch für Naturwissenschaften zu interessieren?
Viele sehr aktuelle Fragen, die die Menschen bewegen, haben inbesondere mit Biologie und Chemie zu tun. Die Frage nach Stoffe, die die Umwelt nicht nur momentan schädigen, sondern auch in Zukunft stark belasten werden, wie zum Beispiel erbgutschädigende Substanzen und Klimaschadstoffe, beschäftigen zur Zeit die Gesellschaft.
Wenn man sich bereits etwas mit den Grundideen und Modellen auskennt, die dahinter stehen, kann man sich gezielter informieren und sich eher eine eigene Meinung bilden.
3.1
Ein geradezu klassisches Beispiel für eine völlige Uniformiertheit der Öffentlichkeit gegenüber einem naturwissenschaftlichen Spezialgebiet, das auch auf breite Teile der Bevölkerung eine große Wirkung haben wird, ist die Gentechnologie.
Nicht einmal die Kernenergie hat so große Ängste in Bezug auf ihrer Unbeherrschbarkeit und unabsehbare Folgen für das Ökosystem Erde in der Bevölkerung ausgelöst. Leider ist in dieser Diskussion an der Tagesordnung, dass die Naturwissenschaftler als völlig ignorant in Bezug auf mögliche Folgen der Gentechnologie gelten, während die Gegner mehr mit ihren Ängsten als mit Kompetenz glänzen. Die Angst vor der unberechenbaren, neuen Tieren und Pflanzen mit neuen Eigenschaften, wie die Angst vor der Killertomate, geht um. Die Diskussion um die Risikoabschätzung in der Gentechnik wird in dieser Form auch nur so heftig in Deutschland geführt.
Ich möchte Ihnen dafür ein einfaches Beispiel nennen. Wenn in eine Pflanze mittels gentechnischer Methoden ein fremdes Gen eingeführt führt, entsteht eine transgene Pflanze. Bei den im Augenblick verwendeten Methoden wird dabei auch gleichzeitig eine Resistenz gegen ein Antibiotikum, das Kanamycin, ebenfalls miteingeschleust.
Die Gentechnikgegner behaupten, diese zwangsläufig bei jeder transgenen Pflanze ebenfalls eingeführte Resistenz gegen das Antibiotikum Kanamycin würde auch auch auf Bodenbakterien übertragen werden können, die dann ebenfalls resistent würden und so dazu führen, dass sich diese für den Menschen in der Krankheitsbekämpfung wichtigen Substanzen, die Antibiotika, unwirksam würden. Dabei wird einfach übersehen, dass Kanamycin in der Medizin überhaupt keine Rolle spielt. Es geht also um ein Risiko, das eigentlich keines ist.
Auf der anderen Seite konnten dänische Forscher zeigen, dass ein in Raps übertragenes Gen sich bereits nach wenigen Generationen in einer nah verwandten Pflanze, den Rübsen, wiederfand, wenn man beide Pflanzen in Nachbarschaft zueinander wachsen ließ. Hier ist also durchaus ein Risiko erkennbar ist, dass eine gentechnisch übertragene Eigenschaft wesentlich schneller als man immer gedacht hat, auch auf verwandte Pflanzen übertragen wird. Diese Eigenschaft, wie zum Beispiel eine Resistenz gegen ein Unkrautvernichtungsmittel oder gegen einen Schädling, würde sich dann möglicherweise unkontrolliert verbreiten.
Auch glauben viele Leute, dass die Übertragung eines einzelnen Gen eine Pflanze oder ein Tier total verändert. Dagegen ist es viel häufiger der Fall, dass die Pflanze sich überhaupt nicht verändert, da sie versucht und auch in der Lage ist, das neue Gen in ihren Organismus möglichst störungsfrei einzubeziehen, ohne völlig ihre Bedürfnisse ändern zu müssen, was möglicherweise den Tod der Pflanze an diesem Standort bedeuten würde. Das Zusammenspiel der vielen, verschiedenen Gene ist sehr komplex und verflochten.
Es ist sozusagen ein riesengroßes Puzzle, von dem man zwar inzwischen immer mehr Teile sprich Gene kennt, aber noch keine Ahnung hat, wie sie zusammenpassen. Außerdem ist im Augenblick es noch sehr kompliziert und für viele Pflanzen auch gar nicht möglich, aus ihnen transgene Pflanzen zu erzeugen.
Erstaunlich ist in dieser Debatte noch ein weiterer Punkt:
Die Menschen sind weit kritischer, wenn es um die gentechnische Veränderung von Lebensmittel geht als bei Anwendungen der Gentechnik in der Medizin, eine Diskrepanz, die nicht ohne weiteres zu erklären ist. Schließlich sind direkte, gentherapeutische Eingriffe am Menschen mit viel größeren ethischen Bedenken behaftet als Eingriffe bei Pflanze und Tier. Den Anspruch. kranken Menschen Heilung zu bringen, ist also bei den gleichen Methoden ein wesentlich stärkeres Argument für die Anwendung der Gentechnik als die Erzeugung transgener Pflanzen. Die Gentechnik wird also mit zweierlei Maß gemessen, je nach Anwendung. Wenn aber ethischen Richtlinien für die Anwendung der Gentechnik formuliert werden, sollten sie für alle Lebewesen, ob Mensch, Tier oder Pflanzen gelten.
Sinnvolle Richtlinien dabei wären zum Beispiel, sich bei der Erzeugung von transgenen Pflanzen strikt an Nutzpflanzen zu halten, die dazu nicht aus der Region stammen. So besitzt zum Beispiel die Kartoffel, die ursprünglich aus Amerika kommt, hier keine nahen Verwandten bei den Wildpflanzen. Sie ist daher ein geeignetes Versuchsobjekt.
Es zeigt sich also, dass der Bedarf nach einer Debatte über eine Risikoabschätzung der Gentechnik vorhanden ist, dass sie aber auf einer sachlicheren und vor allem besser informierten Ebene stattfinden sollten. Kenntnisse über die Grundbegriffe der Gentechnik, die sich ja aus der Biologie herleiten, sind dabei sicher sehr sinnvoll.
3.2
Naturwissenschaften bieten weiterhin eine andere Einstellung zu der Welt, die uns umgibt, eine nicht anthropozentrische. Es tut uns vielleicht ganz gut, uns daran zu erinnern, dass wir nur eine Spezies unter vielen sind, die noch nicht einmal diesen Planeten besonders lange besiedelt.
Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass Menschen eine einfache Pflanzengruppe wie die Gräser zu einer ertragreichen Pflanze hochgezüchtet haben. Man kann aber auch sagen, dass die Gräser es geschafft haben, indem sie die Nahrungsgrundlage für ein äußerst mobiles Tier, den Menschen wurden, über die ganze Welt verbreitet zu werden und so zu eine der erfolgreichsten Pflanzenfamilien überhaupt zu werden.
Auch gesellschaftliche Ereignisse, wie zum Beispiel eine Präsidentenwahl, von denen man vermutet, kein anderes Lebewesen außer dem Menschen könne diese beeinflussen, werden noch von anderen Lebewesen kontrolliert, womöglich noch von welchen, die nicht einmal über ein ausdifferenziertes Nervensystem geschweige denn eine Wirbelsäule verfügen.
Phytophthora infestans sorgte beispielsweise dafür, dass J. F. Kennedy Präsident wurde. Wer ist Phytophthora, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen... Phytophthora ist der Erreger der Kraut- und Knollenfäule bei Kartoffel, einer Krankheit, die zu erheblichen Ernteverlusten führen kann und die im letzten Jahrhundert in keiner Weise unter Kontrolle war und es auch heute zum Teil noch nicht ist. Dank für Phytophthora günstiger Wetterverhältnisse, nämlich extrem nassem Wetter, vernichtete Phytophthora ein Großteil der Kartoffelernte im letzten Jahrhundert in Irland. Auch die Kennedys wanderten, wie viele Iren damals vor die Wahl gestellt, entweder zu verhungern oder in die neue Welt zu flüchten, in die Staaten aus, wo ein Nachkomme, besagter J. F. Kennedy, später Präsident der Vereinigten Staaten wurde...
Auch andere Mikroorganismen greifen weit mehr in unsere Leben ein als wir denken: Zum Beispiel sind viele literarische Werke wie zum Beispiel von Jane Austen, Robert Browning oder den Schwestern Brontë unter dem Einfluss eines im letzten Jahrhundert mächtigen, menschlichen Krankheitserregers entstanden: Mycobacterium tubercolosis, der Erreger der Tuberkulose. Mycobacterium tubercolosis führt zu einer Krankheit, die einen sehr langen und schleppenden Verlauf hat und die den ganzen Organismus in Mitleidenschaft zieht, so dass der betroffene Mensch langen Phasen der Bettlägrigkeit erlebt, die manche zum Schreiben genutzt haben.
Mit Milliarden dieser winzigsten Lebewesen leben wir auch in geradezu friedlicher Symbiose. Der Pilz Pencillium notatum versorgt uns nicht nur mit Penicillin, was vielen Menschen das Leben gerettet hat, sondern Verwandte von ihm, Penicillium roqueforti und camemberti, tragen zum Gelingen von köstlichen Käsesorten des gleichen Namens bei.
Damit nähern wir uns dem letzten Abschnitt des Vortrages, nämlich den Menschen, die meistens dafür sorgen, dass die Produkte von Penicillium im Kühlschrank reichlich vorhanden sind, aber auch dass auf der anderen Seite der Ausbreitung der weniger erwünschten Aspergillusrassen, sprich Schimmel, Einhalt geboten wird:
Eine der wenigen, noch nicht geklärten Fragen der Menschheit ist: Sind Frauen zu naturwissenschaftlichem Denken befähigt, können sie womöglich als Wissenschaftlerinnen, gar als Naturwissenschaftlerinnen tätig werden.
Zumindest denke ich das manchmal, dass das noch immer eine höchst umstrittene Frage ist, wenn ich mich in bestimmten Kreisen von Menschen bewege, die zwischen Nichtglauben und Faszination schwanken, wenn sie erfahren, was ich beruflich mache.
Es beginnt bereits damit, dass vor allem man glaubt, der heimische Herd, und damit insbesondere die Küche sei der geeignetste Ort für eine Frau, und der ist natürlich frei von jeglicher Form von Naturwissenschaften.
Dabei gehören die Prozesse beim Kochen, Backen und Braten zu den komplexesten Vorgängen, die die moderne Forschung kennt. Diese Prozesse sind ihrer Komplexität nur in einem sehr geringen Maße erforscht und gehören zu den letzten großen Geheimnisse unserer Welt. Die Gründe für das Gelingen eines Soufflés können sicherlich erst weit im nächsten Jahrtausend geklärt werden. Frauen beherrschen diesen Bereich aber mit großer Souveränität und Effizienz, es melden sich also schon die ersten, leisen Zweifel.
Ich möchte dies Zweifel noch bestärken und behaupte statt dessen: Die Unterrepräsentiertheit der Frau in Naturwissenschaften hat keine genetische, sondern eine gesellschaftliche Grundlage. Frauen sind also genauso geeignet und fähig, Naturwissenschaften zu verstehen, zu lehren und in ihnen zu arbeiten.
Die Zweifel gehen inzwischen sogar noch weiter, da in der letzten Zeit vermehrt Hinweise auftauchen, dass Gene, die für die Intelligenz eines Menschen im Sinne des logisch-analytischen Denkens mitverantwortlich sind, über das weibliche X-Chromosom vererbt werden. Das bedeutet im Klartext, dass Söhne einer wenig intelligenten Mutter und eines hyperintelligenten Vater wahrscheinlich die Begabung der Mutter erben, während die Töchter hingegen eine gute Chance haben, die Begabung des Vaters zu erben. In Anbetracht der Tatsache, dass man Anfang des Jahrhunderts glaubte, Frauen seien aufgrund ihrer Physiologie nicht in der Lage, überhaupt intellektuell und schon gar nicht als Naturwissenschaftlerinnen zu arbeiten, ist das schon ein beträchtlicher Fortschritt.
Die Unterrepräsentiertheit der Frauen in Lehre und Forschung hat also gesellschaftliche Gründe, die bereits in der geschlechtstypischen Sozialisation im Kindergarten beginnen, sich in der Schule und weiteren Ausbildung fortsetzen. Einen traurigen Höhepunkt bildet dabei die weitere Karriere und Lebensplanung für Frauen zwischen Ende Zwanzig und Anfang Dreißig, die gerade in den Naturwissenschaften sich vor die Wahl gestellt sehen, entweder auf Familie und zum Teil auch auf Partnerschaft zu verzichten oder ihre Karriere als junge Wissenschaftlerinnen zu beenden, bevor sie richtig begonnen hat.
Diese Art von Karriere fordert nämlich ein überdurchschnittliches zeitliches Engagement, das einem Kinderwunsch nur begrenztem Raum lässt, und die Bereitschaft, spätestens nach drei Jahren in eine andere Stadt oder sogar ein anderes Land umzuziehen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Anteil an Professorinnen an den deutschen Hochschulen immer noch unter fünf Prozent liegt.
Es bleiben also überproportional viele Frauen irgendwann zwischen Diplom/Staatsexamen und Habilitation auf der Strecke. Sie könnten natürlich einwenden, was soll es, es gibt sowieso zu wenig Stellen für all diese Akademiker. Dagegen kann ich nur einwenden: Es sind nicht nur die wenig qualifizierten und wenig kompetenten Frauen, die dabei durch das Raster fallen, sondern gerade auch die hochqualifizierten und hochmotivierten Frauen, die angesichts einer zum Teil geradezu dreisten Benachteiligung im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen resignierend aufgeben.
Dabei sollten doch besonders in Lehre und Forschung, die für unser Land ein so wichtiges Wirtschaftspotential darstellen, nur die wirkliche kompetenten Menschen an den wichtigen Stellen sitzen. Hier sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es eine enorme Verschwendung ist, Menschen hochqualifiziert auszubilden und sie dann in einem ihnen nicht angemessenen Arbeitsplatz quasi verkümmern zu lassen. So hat zum Beispiel meine Ausbildung an der Universität circa 800 000 DM gekostet.
Was sind also mögliche Auswege?
Es sollte gezielte Förderprogramme für Frauen geben, die wieder in ihren Beruf zurückkehren möchten. Ebenso sollten Programme zur Erhöhung des Frauenanteils an der Universität eingerichtet werden.
Dabei dürfen auch solche radikale Methoden wie die starre Quotierung von Stellen nicht aus dem Auge verloren werden. Die flexible Quotierung hat schließlich nur dazu geführt, dass der Anteil der Frauen unter den Professoren an den Universitäten immer noch unter 5 % liegt. Nicht zuletzt ist auch schon die Schule gefordert, die Mädchen mehr zu ermutigen, sich in naturwissenschaftlichen Fächern zu engagieren, wenn nötig auch dafür vom koedukativen Unterricht Abstand zu nehmen. Im getrennten Unterricht hat sich nämlich gezeigt, dass Mädchen genauso häufig Mathematik oder Physik als Leistungskurs belegen wie Deutsch. So wird den Mädchen die Chance gegeben, sich ihren Talenten entsprechend zu entfalten.
Ich möchte natürlich die Gelegenheit nutzen, die hier anwesenden Mädchen aufzufordern, sich nicht entmutigen zu lassen, sondern auch in naturwissenschaftlichen Fächern ihre Chance zu sehen.
Ich hoffe, ich konnte ihnen ein wenig von der Faszination vermitteln, die Naturwissenschaften, für mich besonders die Biowissenschaft, auf einen Menschen ausübt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.